Die Vogelfänger von Nürnberg

Von Prof. Dr. Hermann Rusam

Druckansicht

Wir können uns heute nur noch schwer vorstellen, daß vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert der Fang von Singvögeln für den anschließenden Verzehr eine der Lieblingsbeschäftigungen der Nürnberger gewesen ist, die geradezu mit leidenschaftlichem Eifer betrieben wurde. Die Erinnerung an dieses eigenartige Kapitel nürnbergischer Jagdgeschichte ist heute bei der Bevölkerung verblaßt, lebendig geblieben sind allerdings manche Ausdrücke der Vogelfängersprache, wie auf den Leim bzw. ins Netz oder ins Garn gehen, der Lockvogel oder das Bild der Fäden, die bei einer Person (einst dem Vogler) zusammenlaufen. Die Methoden des Vogelfangs gelangten wahrscheinlich aus dem Süden Europas nach Mitteleuropa. Der bekannte Jagdhistoriker Kurt Lindner hält den Vogelfang für eine jener Techniken, die die Römer einst nach Germanien gebracht hatten. Der Fang von Vögeln wurde vor allem während der Zugzeiten im Herbst und im Frühjahr betrieben.

Der Vogelfang erfolgte auf dem sogenannten Vogelherd. Dieser war in den meisten Fällen ein mehr oder weniger ovaler künstlicher Hügel, den man oben geebnet hatte. Seine Länge betrug vielleicht 6 bis 30 Meter, seine Breite
3 bis 8 Meter. Oft umgab ein flacher Graben die Anlage. Bisweilen mag sich in nächster Nähe noch eine kleine Vogeltränke befunden haben. Das Grundwort -herd ist für uns heute nicht mehr so recht verständlich, denken wir dabei doch sofort an eine Art Feuerstelle. Die ursprüngliche Bedeutung war aber Erde, Boden.

Auf dem Erdaufwurf stand seitlich das mit Zweigen verkleidete Vogelfängerhäuschen. Es enthielt meist zwei Räume. Der eine Raum beherbergte die Netze, die Käfige mit den Lockvögeln und sonstigen Utensilien des Vogelfängers. Vom zweiten Raum aus hatte man durch kleine  Wandöffnungen den freien Blick auf den Fangplatz. Durch diese Löcher liefen auch die Zugleinen (Fäden) zum Zusammenziehen der beiden Netzwände, deren Längsenden mit Stäben versteift waren.

Unentbehrlich für den Vogelfänger waren die Lockvögel, meist Buchfinken, denen man mit einem glühenden Kupferdraht die Hornhaut der Augen verbrannt hatte. Die Käfige der geblendeten Vögel hing man in Schränken auf, bis die Fangzeit kam. Wenn dann die gequälten Vögel aus der Hütte geholt wurden und die freie Luft spürten, sangen sie so laut und kräftig, daß durch den Gesang viele Vögel herbeigelockt wurden, die dann dem Vogelfänger ins Garn gingen.

Der Vogelherd war von niedrigen Bäumen umgeben, in denen die Käfige mit den Lockvögeln hingen. Zwischen den Netzen hüpften weitere Lockvögel umher, die an den Füßen festgebunden waren. Zwischen den Schlagnetzen war leckeres Lockfutter wie Hanfsamen oder Ebereschbeeren verstreut. Waren genügende Vögel eingefallen, brachte der Vogelfänger durch einen blitzschnellen Zug an den Leinen die Netze zum Zusammenklappen. Er sprang dann herbei, löste die Vögel aus dem Garn und drückte ihnen die Köpfe zusammen.

Georgen Bayrns Vogelherd beim Schloss Schoppershof (16. Jahrhundert). Besonders schön sehen wir das Vogelfängerhäuschen und die aufgestellten Schlagnetze. Die Anlage ist mit kleinen Bäumen umgeben, in denen beim Fang die Kästen mit den Lockvögeln aufgehängt wurden (Handschriftabteilung der Stadtbibliothek Nürnberg)
Die oft in der Waldeinsamkeit gelegenen Vogelherde haben bisweilen auch Anlaß zu mancherlei Anzüglichkeiten. Auf dem Aquarell aus einem Nürnberger Stammbuch hat der Einsiedler mit seinem Schlagnetz einen recht ungewöhnlichen Fang gemacht ( Stadtarchiv Nürnberg)

Der Vogelfang war einst in nahezu allen gesellschaftlichen Ständen verbreitet. Bekannt ist die Sage, wonach dem jugendlichen Sachsenherzog Heinrich beim Vogelfang in Goslar die Kaiserkrone angeboten worden sein soll. Verewigt wurde die Geschichte in dem Lied von Johann Nepomuk Vogl:

Herr Heinrich sitzt am Vogelherd, recht froh und wohlgemut,

Aus tausend Perlen blitzt und blinkt der Morgenröte Glut...

Wer reich war - das galt insbesondere für das nürnbergische Patriziat - beschäftigte gelegentlich sogar einen berufsmäßigen Vogler. Im Bericht des Nürnberger Kriegshauptmanns Erhard Schürstab aus dem Ersten Markgrafenkrieg 1449 erfahren wir, wie etliche Vogler umkamen: Item darnach chomen des marggrafen leut ... über etlich arm vogler, und ermörten (= ermordeten) und erslugen sie.

Im Reichswald selbst durften keine Vogelherde errichtet werden. Ein Ratsverlaß von 1470 legte fest: Ein ehrbarer Rat zu Nürnberg hat aus bewegliches Ursach gesetzt und verordnet, daß es mit den Grametsvögelherden (Grametsvögel = Drosseln), soll also gehalten werden, daß der keiner auf des Reiches Boden soll gemacht werden.

Das vollständige Nürnbergische Koch-Buch von 1691 bringt zahlreiche Rezepte für die Zubereitung von Vögeln. so zum Beispiel: Gespickte Troscheln (=Droseln) oder  Krammets-Vögel zu braten, Lerchen mit Speck zu braten, Gebratene Lerchen in einer Brüh, Gebratene oder geröstete Vögel in Weintrauben (Stadtbibliothek Nürnberg)

Viele frönten dem Vogelfang, weil sie in ihm eine Art Sport sahen. Sie scheuten daher weder die großen Geldausgaben noch den beachtlichen Zeitverlust, den ihnen dieses Vergnügen abforderte. Selbst noch Anfang des 19. Jahrhunderts verteidigte der Nürnberger Goldschmied Pius Meinecke seinen Vogelherd auf dem Schmausenbuck nahe der Laufamholzer Weide (das blechener Häublein genannt) mit dem Argument, dort viel Erholung nach des Tages Arbeit zu erhoffen. Am 6. Oktober 1575 schrieb eine Nürnberger Dame, Sabina Behaim, naserümpfend an ihren Bruder über einen Angehörigen der Familie names Ketzel: So dumelt er sie (=sich) iecz al tag auf dem fogelhert. Überliefert sind uns aus früherer Zeit die warnend-belehrenden Worte:

Fische fangen und Vogelstellen

Verdarb schon manchen jungen Gesellen.

Um 1580 erließ der Rat der Reichsstadt Nürnberg ein Mandat, in dem er seine Bürger tadelte, weil sie zur Herbstzeit nur selten den Gottesdienst besuchten. Sie zogen statt dessen zu ihren Meisenhütten und Vogelherden und versäumten darüber den Gottesdienst, dadurch denn der gerechte Gott um so viel mehr zu Zorn gereizt werden müsse. Der Rat schritt ein: Jede Art von Vogelfang wurde ab sofort zur Zeit des Gottesdienstes verboten. Zuwiderhandelnden wurde eine Geldstrafe von vier Gulden angedroht.

Nicht nur Patrizier, sondern auch einfache Leute gaben sich dem Vogelfang hin. Zu den erfolgreichsten unter ihnen gehörte Lienhard Baumeister, seinerzeit Mesner von St. Sebald. Er fing allein am 4. Oktober 1611 auf den Feldern zwischen Mögeldorf und Laufamholz 1122 Kornlerchen. Zwei Männer waren nötig, um sie auf Stangen zum Nürnberger Markt zu tragen. Je fünf Vöglein wurden auf einen Spieß gesteckt und um 10 Kreuzer und 3 Batzen pro Spieß wohlfeil verkauft. Baumeister setzte seine Jagd fort. Am 7. Oktober fing er 1412, am 9. und 10. Oktober je 300 und am 12. Oktober 500 Lerchen. Der Nürnberger Patrizier Hans Starck, der uns in seiner handgeschriebenen Chronik diese Begebenheit überliefert hat, fügte bewundernd hinzu, daß dergleichen Glück kein Vogler dieser Zeit gehabt habe.

Im Jahr 1571 erließ der Rat eine Vogelherdordnung. Gegen eine jährliche Gebühr wurde die  Erlaubnis zum Vogelfang in den Nürnberger Wäldern und auf dem Reichsboden, der sogenannte Vogelzettel, ausgestellt. Die Zahl der Vogelherde war seinerzeit außerordentlich groß. Im Pfinzingatlas von 1594 sind für den Sebalder Reichswald 61 und für den Lorenzer Reichswald 33 Vogelherde eingetragen. Nach dem letzten Vogelzettelbuch des Waldamtes Laurenzi für die Jahre 1800 bis 1808 wurden allein im Wald links der Pegnitz (Lorenzer Reichswald) 158 Herde unterhalten. Vorzugsweise stellte man - es waren vorwiegend Patrizier - den wohlschmeckenden Krammetsvögeln (Wacholderdrosseln) nach. Die kleineren Handwerksleute vergnügten sich vor allem mit dem Meisenfang in den sog. Maisenhütten. Eine Besonderheit für die Nürnberger war der Fang der Heidelerchen. Die im Pfinzingatlas von 1594 im Umkreis von Laufamholz und Mögeldorf eingetragenen Vogelherde Nummer 7, 8 und 11 waren derartige Haidellerchenherdte. Noch heute sind in Vogelliebhaberkreisen die Nürnberger wegen dieser Vorliebe für die Heidelerche, das Dudlerla, bekannt.

Die meisten Mögeldorfer Vogelherde lagen vor dem Nordrand des Lorenzer Reichswaldes. Auf dem Schmausenbuck gab es zwei Vogelherde. Sie standen beide auf Privatgrund. Der größere von ihnen lag am Westhang, auf dem sogenannten Sandbühl, etwa an der Stelle der heutigen Schmausenbuck-Restauration. Von diesem Vogelherd erfahren wir erstmals 1650. Damals verkaufte der Bürger und Paternostermacher Georg Schmidt den Herd um 60 Gulden an den Pfragner Hans Schuster. Nach mehreren Zwischenbesitzern erwarb der Bierbrauer Georg Schmaus, dem der Schmausenbuck seinen Namen verdankt, den Vogelherd. Im Jahr 1808 - es war kurz vor dem Verbot des Vogelfangs in Nürnberg - besaß David von Scheidlin vom Schmausenschloß in Mögeldorf die Vogelherd- Gerechtsame. Der Finkenherd am Sandbühl erfreute sich eines regen Besuchs durch die Nürnberger, die hier die Vögel aus erster Hand kauften oder in der Wirtschaft einkehrten. Vor allem aber waren Steinbrecher mittags oder abends häufige Gäste. Sie ließen sich hier Vögel braten und langten auch bei den Getränken kräftig zu. Durch Umbau der Vogelfängerhütte entwickelte sich allmählich die heutige Schmausenbuckgaststätte. Der kleinere Vogelherd auf dem Schmausenbuck gehörte zuletzt Pius Meinecke. An seinen Vogelherd grenzten die Weiden von Mögeldorf und Laufamholz an.

Obwohl nach dem Übergang Nürnbergs an das neugeschaffene Königreich Bayern der Vogelfang auf dem Papier ab dem 4. August 1809 verboten war, fing man im Herbst 1854 noch 118 Vögel auf Leimruten im Reichswald. Vor allem waren es einzelne Patrizier, die mit fadenscheinigsten Argumenten um Sondererlaubnis für den Weiterbetrieb ihrer Vogelherde nachsuchten. Doch kam es bei allen diesen Gesuchen zu einem abschlägigen Bescheid durch die Forstverwaltung, die darauf hinwies, es entstünden durch die Abnahme der nützlichen Vögel die schädlichsten Folgen für die Holzkultur. Obwohl im Allgemeinen Intelligenzblatt der Stadt Nürnberg 1815 eine polizeiliche Bekanntmachung veröffentlicht wurde, die das Einbringen und den öffentlichen und heimlichen Verkauf nützlicher Vögel mit der hohen Strafe von zwei Talern verbot, vergingen doch noch viele Jahrzehnte, bis sich die Nürnberger ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung, des Vogelfangs, entwöhnten.

Ausschnitt aus derBesitzerliste der Vogelherde im Lorenzer Reichswald nach dem Pfinzingatlas von 1594. Im Umkreis von Mögeldorf lagen die Vogelherde Nr. 7 -17. Besonders wichtig ist bei Vogelherd Nr. 12 der Zusatz: Item bey dem Mögeldorffer Stainbruch, hat es auch ein großen Herdt. Es handelt sich hierbei um den 1808 Oavid von Scheidlin gehörenden Finkenherd. Etwa auf diesem Gelände steht heute die Schmausenbuck-Wirtschaft (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Staatsarchivs Nürnberg).

 

Ausschnitt aus dem Pfinzingatlas von 1594. Die Vogelherde sind mit schwarzen Zahlen durchnumeriert. Da es nicht erlaubt war, auf Reichsboden Vogelherde anzulegen, liegen sie fast ausnahmslos nördlich des Waldrandes. Der bekannteste Vogelherd lag auf Privatgrund in einer Rodungsinsel östlich des großen Steinbruchgeländes (Nr. 12). An seiner Stelle steht heute die Schmausenbuck-Wirtschaft. Auf unserer Abbildung (auf den folgenden Seiten) ist der Steinbruct' in der Bildmitte unten eingetragen. Nur von einem der drei mit 7 bezeichneter Vogelherde ist noch ein kleiner Hügel links am Waldrand zu erkennen, wenn man den Weg von Laufamholz aus zum Schmausenbuck geht (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Staatsarchivs Nürnberg).

 
Der Scheidlinsche Finkenherd auf dem Schmausenbuck im Jahr 1810. Erst ein Jahr zuvor war der Vogelfang um Nürnberg durch Gesetze des Königreichs Bayern verboten worden. Der Herd gehörte 1808 David von Scheidlin, der auf dem Schmausenschloß in Mögeldorf wohnte. Die Darstellung stammt von Johann Christoph Erhard (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Nürnberg).

Zum Pfinzing-Atlas von 1594

Paul Pfinzing (1554-1599) gehörte einer bedeutenden Nürnberger Patrizierfamilie an. Er war Mitglied des Inneren Rats und einer der sechs Waldherren, die für die Verwaltung und Nutzung des Sebalder und Lorenzer Reichswaldes zuständig waren.

In seinem Atlas erweist er sich als ein hervorragender Kartograph. Mehrmals gestaltet er das Nürnbergisch Territorium, dessen Ausdehnung und Rechte von den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach immer wieder angefochten wurden. Unter anderen Streitpunkten gab es Auseinandersetzungen um das Jagdrecht in den Reichswäldern. Die Jagd auf das Hochwild stand den Markgrafen zu. Das kleine Waidwerk aber durften die Nürnberger zwar nicht schießen, wohl aber fangen. Darunter verstanden sie in erster Linie das Fangen der Vögel. Obwohl die Rechtslage eindeutig war, ließ der Markgraf 1591 im Nürnberger Gebiet Vogelherde zerschlagen. Die Reichsstadt erhob Klage vor dem Reichskammergericht. 1593 erfolgte eine Begehung. In seiner Eigenschaft als Waldherr und zur Unterstützung der Nürnberger Forderungen gestaltete Pfinzing die Karte, von der wir auf S. 34/35 einen Ausschnitt finden.

Der Vogelherd auf dem Sandbühl war ein beliebtes Ausflugsziel der Nürnberger. Man sah sich deshalb bald nach dem Übergang Nürnbergs an Bayern im Jahr 1806 genötigt, die alte Vogelfängerhütte durch Anbauten zum sog. Geijers Haus zu erweitern. Die Abbildung läßt ahnen, welcher Beliebtheit sich einst dieses stimmungsvoll im Wald auf dem Schmausenbuck gelegene Ausflugsziel erfreute. Bald errichtete man an dieser Stelle ein größeres Restaurant-Gebäude, das aber im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde (Abbildung aus dem Fotoarchiv des Vereins Alt-Mögeldorf).

Ein bebildeter Kurzabriss über die Geschichte Mögeldorfs von Hermann Rusam ist bei der Buchhandlung Korn & Berg erhältlich. Preis Euro 6.50.

letzte Änderung: 24.09.04

Seitenanfang