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Wann ist man ein Mögeldorfer?
 

Wenn der Großvater ein alteingesessener Mögeldorfer war, wenn man seine Kindheit in Mögeldorf verbracht hat, wenn man dort 17 Jahre gelebt hat, ist man dann ein Mögeldorfer?

Siebzehn von ihren 86 Lebensjahren hat Herta T. in Mögeldorf verbracht. Die 17 Jahre waren ihre Kindheit, der Anfang eines langen Lebens. Seit fünf Jahren ist sie Mitglied unseres Vereins und verfolgt mit Interesse „Unser Mögeldorf“. 

Geburtszeugnis von Johann Weidner,
dem Großvater von Herta T.

Herta T. erinnert sich:

Meine Eltern stammten aus Bayern, fanden aber Arbeit in Berlin. Dort wurde ich 1919 geboren. Als ich zwei Jahre war, holten mich meine Großeltern nach Mögeldorf. Mein Großvater Johann Weidner arbeitete in Nürnberg als Pflasterermeister. Zuerst wohnten wir in der damaligen Ortsstraße im Tauberhof. Dann zogen wir in die Laufamholzstraße 2. Dort, zwischen dem Freitagshof und der Christophstraße, standen vier zusammengehörende Häuser. Eines war der Ritter St. Georg, eines der alten Mögeldorfer Traditionsgasthäuser, damals bewirtschaftet von dem Wirt Linhard. Es wurde 1945 vollständig zerstört. Das danebenstehende Gästehaus war in einem solch desolaten Zustand, dass es 1967 auch abgebrochen wurde. In einem anderen Nebengebäude wohnte ich bei meinen Großeltern. Es ging bescheiden zu. Wir hatten wohl eine sonnige Dreizimmerwohnung mit Wasserleitung. Doch es gab keinen Ausguss. Jeder Eimer mit Schmutzwasser musste vom ersten Stock hinuntergetragen werden. Auf dem Hof war eine Rinne, in die das verbrauchte Wasser hineingegossen wurde. Das Abwasser floss dann in einen Graben. Das Plumpsklo für vier Familien befand sich auch auf dem Hof. Man legte immer geschnittenes Zeitungspapier bereit. Das war der ganze Aufwand. Ich habe aber viele gute Erinnerungen an meine Kindheit. Meine Großmutter war zwar sehr streng. Aber es gab liebe Nachbarn, wie die Frau Kunstmann aus dem Taubershof. Und mein Großvater war sehr fürsorglich. Er war Mitglied im Turnverein und so wurde auch ich dorthin geschickt. Jeden Dienstag zog ich meinen Turnanzug an und besuchte

Gestehaus Ritter St. Georg,
 Laufamholzstrasse 2

 die Turnstunde im Schulhaus in Mögeldorf oder im Guthmannschen Saal. Mein Turnlehrer war Herr Karg. Wir machten Übungen am Barren und am Boden. Eine Größe wurde ich nicht. Aber es machte mir Spaß und ich nahm gerne am Training teil. Zu Weihnachten fand immer eine große Feier statt. Wir zeigten den Eltern, was wir gelernt hatten, unsere Turnübungen und kleine Theaterstücke. Mein Großvater war ein geselliger Mensch. Jeden Sonntag ging er mit mir und seinem Freund spazieren auf den Schmausenbuck, vorbei an einem Irrgarten und einem Fußballplatz. Nach unserem Spaziergang gingen wir in die Gaststätte „Schöne Aussicht“. Dort half meine Oma sonntags immer in der Küche aus und briet Bratwürste. Es wurde gekartelt, Bier getrunken und Bratwürste gegessen. Wenn ich müde war, legten sie mich auf die Ofenbank und gegen Mitternacht trug mich mein Großvater schlafend nach Hause.

Wenn mein Großvater Urlaub hatte, entrindete er mit seinem Freund Bäume im Wald. Das war im Auftrag des Försters. Was heute maschinell geschieht, war seinerzeit Handarbeit. Meine Großmutter kochte das Mittagessen und mit dem Handwagen fuhren wir zu den Männern und machten gemeinsam Mittagspause. Anschließend fuhren wir die Holzabfälle nach Hause und hatten im Winter eine warme Wohnung. Was haben wir doch bescheiden gelebt! Aber die Menschen hatten damals keine großen Ansprüche.

Meine Schulzeit verbrachte ich in der Thusneldaschule. Besonders gut gefallen hat es mir beim Lehrer Lippacher. Am Sonntag ging ich in die Kirche. Das war so üblich. Konfirmiert wurde ich von Pfarrer Bammessel.

Als ich aus der Schule kam, wollte ich so gerne Verkäuferin werden. Mein Entlassungszeugnis war gut, aber es gab keine Lehrstellen. Eines Tages stand in der Zeitung eine Annonce: Ein Schneidermeister sucht ein Lehrmädchen. Gute Zeugnisse erwünscht. So meldete ich mich bei dem Schneider und wurde genommen. Der Schneidermeister war ein älterer und, wie ich später merkte, auch ein ganz armer Mann. Es war noch ein Lehrling da.

Turnfest 1904

 Weil es richtige Schneiderarbeit oft gar nicht gab, mussten wir die Wohnung sauber halten. In seinem Wohnzimmer hatte er hinter einem Vorhang sein Bett. Die Wand dahinter war rissig und in den Rissen waren Wanzen. Die mussten wir als erstes mit einem Mittel besprühen. Dann haben wir sein Bett gemacht und den Vorhang wieder zugezogen. Wenn der Meister Arbeit hatte, schneiderte er schöne Anzüge und Mäntel. Aber es waren schlechte Zeiten. Wir Lehrlinge bekamen in der Woche 1 Reichsmark. Einen Vorteil gab es. Er hatte eine Knopflochmaschine und Näherinnen aus anderen Firmen ließen ihre Knopflöcher bei ihm machen. Ich durfte die Maschine bedienen – zur Zufriedenheit der Kunden. Einer hat mich überredet, doch bei meinem Schneidermeister aufzuhören und Wäschenäherin zu werden. Der alte Mann tat mir zwar leid. Aber ich sah ein, dass ich bei ihm nicht weiter kam. Also fing ich bei einer Wäschenäherin an und bekam 3 Reichsmark pro Woche. Dann bekam ich eine Stelle, wo ich 7 Reichsmark verdiente. Mit der Zeit verdiente ich noch etwas mehr, weil mein Chef auf Märkten und Kirchweihen seine Ware gut verkaufte. Dann aber kam der Krieg und der Handel lief nicht mehr. Inzwischen waren meine Großeltern nach Fürth verzogen. Ich bemühte mich in Fürth um Arbeit und bekam bei der Firma Schickedanz eine Stelle als Näherin. Ich verdiente endlich Geld, 25 – 30 Reichsmark pro Woche. Nun konnte ich meinen Großeltern ein wenig zurückzahlen, was sie in all den Jahren für mich angelegt hatten. Inzwischen war ich auch mit meinem Freund aus Mögeldorf verlobt, allerdings war der beim Arbeitsdienst und musste dann als Soldat einrücken. Trotz Kriegsbeginn hatte ich zunächst noch eine fröhliche Zeit, weil mir die Arbeit am Band mit den anderen Mädchen Freude bereitete. Das Jahr 1941 brachte für mich eine jähe Wende. Im Dezember verlor ich drei Menschen, die ich liebte.

Herta mit ihren Geschwistern, 1942

Meine Mutter starb an der damals in Berlin wütenden Grippe, mein Verlobter fiel als Soldat bei Kiew und mein Großvater starb in Fürth. Mein Vater war im Krieg und so musste ich nach Berlin und dort meine drei unmündigen Geschwister versorgen. Ich fand Arbeit bei der Chemiefabrik Schering. Durch berufliche Weiterbildung brachte ich es nach dem Krieg in Ostberlin zur Chemiemeisterin. Krankheitsbedingt wurde ich früh zur Rentnerin. Ich konnte in den Westen reisen und heiratete dann 1979 in Fürth. Mein Mann starb 1999.

Jetzt in meinen alten Tagen zieht es mich immer wieder nach Mögeldorf, dorthin wo ich meine Kindheit verbrachte. Ich fühle mich immer noch ein wenig als Mögeldorferin.

 

Aufgezeichnet nach Berichten von Herta T.

Elfriede Schaller

 

letzte Änderung: 26.06.06

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