3. Folge: Die Verwunderung des Martin Schlemmer durch portugiesische Soldaten 1810
Am 25. April 1810 ging ein vom gleichen Tag datierter Befehl des Landgerichts Nürnberg in Mögeldorf ein: „Die Marschstation Mögeldorf hat morgen früh um 5 Uhr 4 zweispännige Wagen hieher zu stellen. Nürnberg, den 25. April 1810, Königl. Landgericht.“ Obwohl die sonst übliche Androhung empfindlicher Geldstrafe oder militärischer Exekution im Weigerungsfall diesmal fehlte, musste es jedem klar sein: Hier war unbedingt Folge zu leisten.
Die konkrete Umsetzung lässt sich einem späteren Vermerk auf dem gleichen Zettel entnehmen. „Mögeldorf: 2 Wagen, M. Schlemmer 1 Wagen und Wolfgang Kühnlein 1 Wagen, sind nach Erlangen fahren. Laufenholz 2 Wagen: 1 nach Schwabach und 1 nach Erlangen.“ Die Beteiligung auch zweier Wagen aus Laufamholz ist damit zu erklären, dass eine „Marschstation“ der organisatorische Zusammenschluss mehrerer benachbarter Dörfer zur gemeinsamen Erfüllung militärischer Anforderungen war. Zur Marschstation Mögeldorf gehörten außer Mögeldorf selbst auch noch Laufamholz, Hammer, Oberbürg, Unterbürg, Malmsbach, Schwaig und Zerzabelshof.
Wir dürfen annehmen, dass die Vorspannpflichtigen ihre Fracht, eine Gruppe königlich bayerischer Soldaten, wie üblich auf dem Dielinghof (dem heutigen Egidienplatz) übernahmen und dann nach Erlangen brachten. Als die Soldaten abgestiegen waren, ließen Schlemmer und Kühnlein sich im Gasthof Rotes Ross nieder, um sich selbst und ihren Zugochsen vor der Rückfahrt etwas Erholung zu gönnen. Nach zwei Stunden betraten ein französischer Grenadier und ein Erlanger Bürger mit acht portugiesischen Soldaten den Raum und verlangten eine neue Fuhre: Auf dem Rückweg sollten Schlemmer und Kühnlein die acht Portugiesen nach Nürnberg mitnehmen. Schlemmer und Kühnlein weigerten sich. Eine solche Rückfracht bei Militärtransporten war ganz außergewöhnlich, und die schon vom Hinweg erschöpften Ochsen konnten die zusätzliche Belastung nicht mehr ertragen. Da der Grenadier sich nicht abweisen ließ und die Mögeldorfer in der Wirtsstube festhielt, begab man sich gemeinsam zum Erlanger Vorspannbüro. Dieses bestand auf dem Transport, und Schlemmer und Kühnlein blieb nichts übrig als sich zu fügen.
Es kam wie befürchtet. Die ermüdeten Ochsen kamen nur langsam voran, zu langsam für die ungeduldigen Portugiesen, und bald begannen diese, die Tiere zu misshandeln. Als Schlemmer protestierte, stürzte sich der Korporal Figueiredo auf ihn und stach mit dem Seitengewehr (Bajonett) auf ihn ein. – Wie die Reisegruppe den Rest des Weges bis Nürnberg zurücklegte, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
Zurück in Nürnberg gingen Schlemmer und Kühnlein zum Landgericht und erstatteten Anzeige. Der sofort herbeigerufene Wundarzt Johann Andreas Schmidt konstatierte eine 1 ½ Zoll (3,81 cm) lange Fleischwunde an der linken Schulter und eine 1 Zoll (2,54 cm) lange Wunde, die auch den Knochen verletzt hatte, am linken Unterarm; nach seiner Einschätzung würde die Heilung mindestens sechs Wochen dauern.
Das Landgericht stellte sich hinter seinen Untertan. In einem geharnischten Schreiben an das Stadtpräsidium Erlangen protestierte es gegen die Brutalität und Willkür des dortigen Vorspannbüros. Erlangen bestätigte den Eingang und versprach eine baldige Antwort, die niemals erfolgte. Weitere Schreiben des Landgerichts ergingen an seine vorgesetzte Behörde, das Generalkommissariat des Pegnitzkreises, und an die französische Kommandantur mit dem Ersuchen, die Übergriffe ihrer portugiesischen Legionäre zu bestrafen. Der Prozess vor dem französischen Militärgericht erfolgte schnell und ergebnislos, Korporal Figueiredo wurde freigesprochen. Begründung: Da die einzigen Belastungszeugen die Geschädigten selbst, also Partei waren, neutrale Zeugen mithin fehlten, sei der Tathergang und somit die Schuld des Angeklagten nicht zweifelsfrei nachzuweisen.
In realistischer Erkenntnis des Möglichen verzichtete Schlemmer auf eine weitere Strafverfolgung, nicht aber auf Schadensersatz, weshalb er sich am 16. Mai abermals an das Landgericht wandte: Für Heilungskosten, Schmerzensgeld und die Kosten eines Tagelöhners während seiner dreiwöchigen Arbeitsunfähigkeit (die Arbeit auf seinem Bauernhof musste ja dringend fortgeführt werden) seien 100 Gulden eine angemessene Entschädigung. Das Landgericht wandte sich zur Entscheidung des Falls an das Generalkommissariat und schlug vor, den Magistrat Erlangen zur Zahlung heranzuziehen, dessen Vorspannbüro durch seine unbillige Forderung ja der eigentlich Schuldige sei. Die Reaktion des Generalkommissariats ließ auf sich warten; inzwischen wurde es selbst aufgelöst und der Pegnitzkreis dem Rezatkreis mit der Hauptstadt Ansbach eingegliedert. Ist der Vorgang vielleicht bei dieser Gelegenheit verloren gegangen? Erst als sich fast ein Jahr später am 5. April 1811 Schlemmers behandelnder Arzt, der Mögeldorfer Bader und Chirurg Eberhard Leopold (bekannt als Besitzer und Namengeber des Baderschlosses), an das Landgericht wandte, kam wieder Bewegung in die Sache. In seiner Eingabe bat Leopold um die Erstattung seiner Behandlungskosten in Höhe von 9 Gulden 38 Kreuzer, da er von Schlemmer nichts bekomme und dieser ihn vielmehr an das Landgericht verweise. Dieses wandte sich seinerseits am 21. April mit der Bitte um höchste Entscheidung an das Generalkommissariat des Rezatkreises (heute Bezirk Mittelfranken) in Ansbach und schlug nunmehr eine Entschädigung von 50 Gulden vor. Das Generalkommissariat – wen wundert’s – verlangte am 8. Mai zunächst weitere Nachweise: eine beglaubigte Bestätigung Schlemmers über die von Leopold in Rechnung gestellten Behandlungsmaßnahmen und die Angemessenheit des verlangten Honorars sowie eine Bescheinigung des Dorfvorstehers über die dreiwöchige Arbeitsunfähigkeit Schlemmers vor inzwischen einem Jahr. Am 14. Mai legte Schlemmer die gewünschten Bescheinigungen vor und spezifizierte seine Forderungen auf 9 Gulden 38 Kreuzer Arztkosten und den Lohn des Tagelöhners von 12 Gulden 3 Kreuzer für drei Wochen, zusammen 21 Gulden 41 Kreuzer. Bei der vom Landgericht vorgeschlagenen Entschädigung von 50 Gulden bliebe ihm somit, wie Schlemmer mit spürbarer Enttäuschung vorrechnete, gerade einmal eine Entschädigung von 27 Gulden 54 Kreuzer für alle Schmerzen und Versäumnisse, ganz zu schweigen von seinem noch immer behinderten Arm.
Wieder gingen Akten nach Ansbach, wieder geschah längere Zeit nichts. Erst am 27. Januar 1812 konnte Schlemmer seine Entschädigung abholen: 25 Gulden. Die Entschädigung jenseits der reinen Kostenerstattung war somit auf 3 Gulden 19 Kreuzer geschrumpft. Schlemmers Reaktion hierauf ist nicht überliefert.

4. Folge: Einquartierung
David von Scheidlin, der Besitzer des Schmausenschlosses, hatte schon oft hohe französische oder bayerische Offiziere zur Einquartierung zugewiesen bekommen. Als aber der kaiserlich französische Oberstlieutenant Amail ins Schmausenschloss einzog, war alles anders.
Amail kam nicht allein, sondern mit seiner Ehegattin, deren Bruder, einer Kammerjungfer, einer Köchin, einem Kammerdiener und einem Reitknecht, insgesamt waren es sieben Personen. Für ihre standesgemäße Unterbringung beanspruchten die „Herrschaften“ vier möblierte Zimmer für sich selbst und zwei möblierte Zimmer für ihre Dienerschaft mit allem, was zum Leben dazugehört: sieben Betten, das dazugehörige Weißzeug, Seifen zu Wäschen, Wachs- und Unschlittlichter, Küchengeschirr, ein Tafelservice aus Porzellan und Gläser für stilvolle Gastlichkeit und schließlich eine „unerhörte Quantität“ Holz zum Kochen, Baden und Waschen (das Schmausenschloss besaß kein Waldrecht, und Scheidlin musste jedes Scheit selbst zu Marktpreisen kaufen). Es lässt sich denken, dass die ungebetenen Gäste mit dem nicht ihnen selbst gehörenden Inventar nicht sonderlich pflegsam umgingen. In bewegten Worten beklagt Scheidlin den ihm zugefügten „Ruin und Schaden“, so wenn Amail mit seinen Gästen auf dem Schmausenbuck ein Picknick im Grünen veranstaltete und hierfür Scheidlins Möbel von seinen Leuten auf den Vogelherd schaffen ließ, wobei sie kräftig „herumgeworfen“ wurden. Die Betten waren nach dem Abmarsch „dieser famille“ für den eigenen Gebrauch so unbrauchbar geworden, dass sie verkauft werden mussten.
Aber damit nicht genug! Das Schmausenschloss in seinem damaligen Zustand war Herrn Amail anscheinend nicht gut genug, und so verlangte er auch bauliche Veränderungen: Scheidlin musste das Hoftor abbrechen und vergrößern, damit die Gäste seines Gastes mit ihren Kutschen bequemer einfahren konnten; er musste den Pferdestall zweimal verändern und schließlich das Nebenhäuslein in eine Badestube umbauen lassen. War dem Herrn Offizier der Weg in die öffentliche Badestube zu weit, oder war es unter seiner Würde, das gleiche Bad zu nutzen wie die Bauern Mögeldorfs?
Als Amail mit seiner „famille“ nach 123 Tagen Mögeldorf wieder verließ, blieb Scheidlin auf seinem Schaden zunächst sitzen. Erst 1809 wurde eine Kommission eingesetzt, um die seit 1806 aufgelaufenen Marsch- und Einquartierungskosten aufzunehmen und einen Lastenausgleich zwischen den sehr ungleich betroffenen Angehörigen der Marschstation Mögeldorf herbeizuführen. Die Kommission bestand aus dem Distriktrechnungskommissär Schönwald, seinem Schreiber, den adeligen Gutsbesitzern der Station, dem Hammerwerk Volkamer und Forster sowie Vertretern der Dorfgemeinden. Akribisch nahm sie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der einzelnen Stationsangehörigen auf und bestimmte daraus ihren Anteil an den Gesamtlasten; aus diesem Anteil und ihren jeweils nachgewiesenen Leistungen, Kosten, Schäden und den bereits vorab erhaltenen Erstattungen ergab sich dann der Betrag der endgültigen – je nachdem – Erstattung oder Nachforderung.
Am 11. Dezember 1810 reichte Scheidlin seinen Erstattungsantrag ein. Entsprechend dem Berechnungsmodus rechnete er seine Schäden und Unkosten in Tagessätze um und kam auf einen Anspruch von 7 fl (Gulden) pro Tag der Einquartierung. Die besonderen Umstände wurden von der Kommission durchaus anerkannt: Während Einquartierungen sonst nach pauschalen Tagessätzen (gestaffelt nach dem Dienstrang des Einquartierten) abgegolten wurden, lief Amail unter „Extrakosten“. Dennoch war Distriktsrechnungskommissär Schönwald zurückhaltend und musste es sein: Jeder Gulden für Scheidlin musste von anderen Stationsangehörigen aufgebracht werden, und Schönwald musste die Interessen aller berücksichtigen. In diplomatischen Wendungen schlug er eine Reduzierung der Forderung vor: „Es ist hiernach unverkennbar, dass der Herr von Scheidlin eine so drückende wie kostspielige Einquartierung gehabt hat, und wohl mit allem Recht und ganz billig eine Entschädigung von 7 fl täglich für alles und jedes fordern könnte. Indessen bin ich überzeugt, dass der Herr von Scheidlin auch hier einen neuen Beweis Ihrer (!) allgemein anerkannten gütigen und uneigennützigen Denkungsart geben und mit einer Vergütung von täglich 5 fl zufrieden sein werden. Ich muss es jedoch dem weiteren Ermessen sämtlicher übrigen Herren Gutsbesitzer in der Station Mögeldorf überlassen, ob sie dieser in Vorschlag gebrachten Entschädigungssumme von 5 fl täglich beitreten oder welchen anderen Satz sie bestimmen wollen. 20. Xber (Dezember) 1810, Schönwald.“
Im Umlaufverfahren ging der Antrag Scheidlins mit Schönwalds Stellungnahme an die übrigen Mitglieder der Kommission, nicht nur an die allein angesprochenen Gutsbesitzer, sondern natürlich auch an die Vertreter der Gemeinden. Alle schlossen sich dem Vorschlag an. Scheidlin erhielt also 615 Gulden.
Ausgezahlt wurde dieser Betrag aber nicht. Im gesamten Abrechnungszeitraum vom 25.2.1806 bis 30.11.1810 hatte er vielmehr noch höhere anerkannte Schäden von insgesamt 1.310 fl erlitten (die 615 fl der Amail-Einquartierung sind hierin enthalten), war andererseits aufgrund seines Reichtums aber auch zu dem hohen Kostenbeitrag von 1.046 fl 58 ¼ X (Kreuzer) verpflichtet. Nach Abzug dieses Pflichtbeitrags verblieb nur noch ein Erstattungsanspruch von 250 fl 50 X, der ihm dann auch ausgezahlt wurde.
Welcher bürokratische Aufwand nötig war, um zu einem solchen halbwegs gerechten, für alle Seiten annehmbaren Lastenausgleich zu kommen, zeigen die letzten Blätter des einschlägigen Aktes mit den Kostenabrechnungen der Kommissionsmitglieder. 96 Tage lang im Zeitraum vom 21. Juli 1809 bis 16. März 1811 hatte die Kommission im Saal des Gastwirts Johann Michael Federlein in Mögeldorf getagt, Distriktsrechnungskommissär Schönwald sowie sein Schreiber mussten während der Arbeitstage dort übernachten. Allein die Kosten für Betten, Möbel und Aufwartung beliefen sich auf 105 fl 36 X, hinzu kamen die Tagegelder für Schönwald in Höhe von 4 fl und seinen Schreiber von 1 fl täglich, zusammen 384 bzw. 94 Gulden. Alle (nebenamtlichen) Schulzen, Schöffen und Bürgermeister der beteiligten Orte hatten über drei Wochen lang von morgens bis abends an der Stationsmilitärkostenrechnung arbeiten müssen, inzwischen ihre eigene Arbeit versäumt und ihre Zehrungskosten selbst bezahlen müssen. Als eine kleine Belohnung erhielten sie auf Beschluss der Station einen Betrag von zusammen 62 fl, verteilt auf 12 Personen 5 fl 12 X pro Mann.
Es dauerte noch drei Jahre, bis mit der Verbannung Napoleons nach St. Helena die Kriege endlich ein Ende fanden. Die Lastenausgleichsverhandlungen konnten erst in den 1830er Jahren abgeschlossen werden.

6. Folge: Der Mögeldorfer Schulstreit 1827 (Teil 1)
Bis zu seinem Tod im 75. Lebensjahr am 17.1.1823 hatte Johann Schultz 37 Jahre lang die Schullehrerstelle in Mögeldorf versehen. Mit seinem Tod fiel ein Umstand auf, den bis dahin noch niemand bemerkt hatte: Für 160 schulpflichtige Kinder sahen die Vorschriften zwei Lehrer vor und nicht nur einen Lehrer und einen Gehilfen; zudem wäre mit zwei Lehrern künftig auch Ganztagsunterricht möglich anstatt, wie bisher, nur halbtags, vormittags für die älteren und nachmittags für die jüngeren Kinder.
Die Schulgemeinde wehrte sich mit Händen und Füßen: Die Lokalschulkasse war leer, die Gemeinde verarmt und konnte nicht noch höhere Lasten für die Schule tragen. Nach langem Hin und Her zwischen der Gemeinde, ihrem Pfarrer Merz (als Lokalschulinspektor) und der Regierung des Rezatkreises (heute Mittelfranken) wurde die Stelle neu besetzt, gegen den Willen der Gemeinde mit zwei Lehrern: dem Lehrer Johann Balthasar Adelhard, der zugleich die Kantor- und Mesnerdienste für die Mögeldorfer Kirche zu versehen hatte, und dem Hilfslehrer Johann Leonhard Philipp Schmidt.
Kein guter Start für die beiden neuen Lehrer! Schon bald begannen die ersten Streitigkeiten, und eine Abordnung der Eltern wandte sich beschwerdeführend an das Landgericht. Ihre Beschwerden richteten sich gegen die Zuchtmethoden des Lehrers Schmidt, aber auch gegen den Lehrplan: das Lesenlernen nach der modernen Lautier- statt nach der herkömmlichen Buchstabiermethode, das frühe Schreiben- und Rechnenlernen statt erst im 10. und 12. Jahr, wie sie es gemacht hatten, und schließlich den „Unfug“ des Naturkundeunterrichts. Lehrer und Lokalschulinspektor beschwerten sich ihrerseits über das Verhalten Mögeldorfer Eltern.
Das Landgericht verwies beiden Seiten ihre Übergriffe, konnte die Gemüter aber nicht beruhigen. Die Situation spitzte sich zu. Schließlich bat Schmidt am 4. Februar 1827 die Regierung des Rezatkreises um Versetzung an eine andere Schule. Mit zehn Klagepunkten über die Gemeinde begründete er seine Bitte:
1. Wegen der Verdorbenheit, Rohheit und Grobheit der meisten Gemeindeglieder.
2. Wegen Unreinlichkeit der Kinder, die so groß ist, daß sich selbst der Lehrer vor Ungeziefer nicht mehr zu retten weiß.
3. Wegen der Trägheit, Ungezogenheit und Widersetzlichkeit der Kinder gegen den Lehrer, mit Unterstützung ihrer Ältern, wenn sie zum Guten angehalten oder ihnen wegen ihrer Ungezogenheit und Trägheit nur zu strafen gedroht wird.
4. Wenn gestraft werden muß, welches bei einer solchen Klasse von Kindern unumgänglich nothwendig ist, die von früher Jugend an zu allen Ungezogenheiten und Lastern selbst von ihren Ältern angehalten werden; so erlauben sich die Ältern sogleich in und vor das Schulhaus zu kommen oder an allen öffentlichen Orten gegen den Lehrer die gröbsten Schimpf- und Schmähworte auszustoßen, ia ihn sogar mit Prügel und Totschlagung zu drohen.
5. Wird eine Anzeige bei der Polizeibehörde gemacht, so erhalten die Beklagten blos mündlichen Verweiß, und da sie nicht mit dem Kläger vor Gericht confrontiert werden, so wird ihren lügenhaften Ausreden mehr Glauben beigemessen als dem Anzeigebericht der königlichen Localschulinspection.
Und so weiter, bis zum zehnten Punkt:
Ist dem Hilfslehrer die Mögeldorfer Gemeindeglieder gehässig, weil sie solchen als die Ursache ansehen, daß sie mehr Schulgeld bezahlen müssen und ihnen Lehrer Adelhard versprach, wenn sie denselben wegbringen, so dürfen sie nur die Hälfte Schulgeld bezahlen. Bei den nahrungslosen Zeiten und bei der Verdorbenheit der meisten Gemeindeglieder ist man wegen 2 Xr wöchentlichen Schulgeld seiner Person auf der Straße nicht mehr gesichert.
Gemäß dem Dienstweg ging das Gesuch zunächst an die Lokalschulinspektion, Pfarrer Merz. Dieser fügte am 5. Februar 1827 seinen eigenen Bericht hinzu. Ihn empörten neben der Disziplinlosigkeit der Mögeldorfer Schüler und Eltern selbst vor allem die Übergriffe der Gemeindeverwaltung in Schulangelegenheiten und der mangelnde Schutz des Schulfriedens durch das Landgericht:
„Die hiesige Gemeinde – ein halbes Saeculum an den alten Schlendrian gewöhnt – ist seit der neuen Organisation der hiesigen Volksschule im Jahr 1824 allem Schulwesen, so wie überhaupt jeder neuen – wenn auch guten – Einrichtung gram, und darum feindet sie die Lehrer an derselben an, unterstützt die Kinder in der Widersetzlichkeit gegen dieselben, und gehet ihnen hierin selbst mit schlechtem Beispiele voran. Beschwerden, die von der Localschulinspektion beim k. Landgericht angebracht werden, werden wenig berücksichtigt, die von den Lehrern erlittenen groben und ehrenrührigen Beschimpfungen nur gelinde geahn(d)et, und die Lehrer erhalten am Ende selbst noch durch die Localschulinspektion einen schriftlichen Verweis als Hitzköpfe, welche ihre Leidenschaften nicht zu zähmen wissen, weil die lügenhaften Angaben der Beklagten zu viel Glauben beigemessen wird. – Die Gemeindeverwaltung hat die Meinung: die Schule und deren Lehrer stünden unter ihr, (…), und nun erlauben sie sich in ihrer Weisheit den Lehrern vorzuschreiben: Wie gelehrt werden müsse, und verklagen den Lehrer, wenn er nicht lehrt wie sie wollen, und das k. Landgericht nimmt diese Klagen an und dekretiert an die k. Localinsp(ektion), es wünsche, daß solchem Unfug (Lehre der Naturgeschichte und Naturlehre, worüber die Klagen erhoben waren) in der Schule gesteuert werden möge. (…)
Um unter eine Menge von 104 rohen Kindern, welche die Elementarklasse faßt, Ordnung zu erhalten, wird der Schulstock oder andere Strafen nicht entbehrt werden können. Nun will aber die Gemeindeverwaltung keine Strafen, wenigstens nicht bei den Knaben der Mitglieder derselben oder deren Vetterlein und Bäßlein, appliciert wissen; dagegen beschweren sich wieder die Knaben der Tagwerker, daß jene Vornehmen sich alle Ungezogenheit ungestraft erlauben dürfen, und so unterbleibt die Ruthe der Zucht und jede Disciplin ganz, und die rohe Masse bewegt sich in der Schule frey und nach Herzenslust und achtet selbst der Anwesenheit des Pfarrers nicht.
Daher suchen sie dem Schmidt sein Hierseyn auf alle mögliche Weise zu erschweren und zu verbittern, senden ihre Kinder nicht mehr zur Schule (weil Schmidt sie nicht buchstabiren, sondern lautiren läßt, weil er darauf dringt, daß sie das Aufgegebene lernen und sich Schreibbücher halten sollen), beschimpfen ihn und suchen ihm sein Amt namentlich auch dadurch, daß die kleinen Kinder ihm mit der Grobheit ihrer Eltern drohen, so sehr zu erschweren, daß er schon einigemale im Unmuth seinen Dienst verlassen und geradezu vor die k. Regierung gehen wollte.“ Ein Sonntagsschüler hätte ihn sogar schon einmal vor versammelter Kirchengemeinde geschlagen.
7. Folge: Die Pegnitzregulierung 1835/36

Seit Menschengedenken hatten die Hochwasser der Pegnitz immer wieder schwere Schäden angerichtet, die anliegenden Wiesen überflutet, mit Sand zugeschüttet oder Teile weggerissen, die zwei Brücken (die innere Brücke über den Mühlbach und die äußere Brücke über den Hauptarm der Pegnitz) und die dazwischen liegende Straße zerstört. Die fortschrittliche bayerische Regierung war nicht gewillt, diesem Treiben der Natur weiterhin tatenlos zuzusehen, und nahm die Begradigung der bislang noch naturnah mäandernden Pegnitz in Angriff.
Welche Ziele diese Maßnahme verfolgte, wurde im Vorbericht eines Kostenvoranschlags vom 31. Juli 1835 prägnant zusammengefasst: „Zur Beseitigung der unerschwinglichen Kosten wegen Unterhaltung der vielen Uferbauten in allen den großen Krümmungen der Pegnitz, der daraus entspringenden vielfachen Versandungen der Wiesen und der Versumpfung derselben in nassen Jahrgängen, giebt es kein anderes und sicheres Mittel als eine gerade Leitung, und wurde solche, nach dem anliegenden Plane, in der amtlichen Verhandlung zu Mögeldorf am 23. Juny von sämtlichen Betheiligten angenommen und am 19. July von hoher Kreisregierung genehmiget.“ Bei der angesprochenen „Verhandlung in Mögeldorf“ handelt es sich um eine Konferenz von Vertretern der zuständigen Behörden mit den 24 betroffenen Wiesenbesitzern dieses Flussabschnitts, von denen nur drei aus Mögeldorf stammten und nur 16 anwesend waren. Die Kosten der Begradigung und der notwendigen Brückenneubauten wurden von den Besitzern der anliegenden Wiesen mit Beiträgen von 61 Gulden 30 Kreutzer je Tagwerk Wiese übernommen, wobei der Beitrag auch in eigener Arbeitsleistung abgegolten werden konnte. Besitzer, deren Wiesen erst durch die Begradigung auf die andere Seite der Pegnitz zu liegen kamen, waren vom Brückenbeitrag befreit; die Kosten der technischen Oberleitung des Projekts trug der Staat.
Durch die Begradigung wurde der Hauptarm der Pegnitz erheblich nach Norden verschoben, so dass die bisherige Brücke abgebrochen und durch einen Neubau über den neuen Flusslauf ersetzt werden musste. Zwischen innerer und neuer äußerer Brücke wurde ein Damm aufgeschüttet, um die Straße künftig hochwasserfrei zu halten. Auch der sagenumwobene Glockensee wurde im Rahmen dieser Maßnahmen zugeschüttet. Am 8. Januar 1836 konnte Kreisingenieur Pfeiffer der Regierung berichten, „daß der Brückenbau über die Pegnitz zu Mögeldorf … gänzlich beendiget, und dem Flusse nun ein Abzugsprofil gegeben sey, das die dreifache Geschwindigkeit des früheren hat, also höchstwahrscheinlich niemals mehr der Fahrweg vom Hochwasser erreicht werden wird ...“
Die Erfolgsmeldung war verfrüht, denn leider hatten die Ingenieure die ökologischen Nebenwirkungen ihrer Maßnahmen grob unterschätzt: Die erhöhte Fließgeschwindigkeit verhinderte zwar, wie erwünscht, dass sich die Pegnitz bei Hochwasser unter den Brücken aufstaute, führte aber zu erheblichen Schäden an Brücken und Ufern. Schon 1 ½ Jahre nach Abschluss der Arbeiten, am 21. Oktober 1836, berichtete die Bauinspektion Nürnberg nicht ohne einen kleinen Seitenhieb auf den Kollegen der vorgesetzten Behörde: „Die durch den kgl. Kreis-Ingenieur Pfeiffer ausgeführte neue Pegnitzbrücke bei Mögeldorf ist in einem sehr gefahrvollen Zustand, und die Wiederlager ganz unterspielt“ (unterspült). Bei Eintritt des nächsten Hochwassers stünden „eine gänzliche Unterspülung der Brücke und ein Dammbruch und dann große Beschädigungen der Straße und der anstoßenden Privat-Grundstücke“ zu befürchten, ein Urteil, das der zur Überprüfung entsandte Kreis-Ingenieur Müller bestätigen musste. Tatsächlich erfolgten in den nächsten Jahren wiederholte Unterspülungen der Brücke, Schäden am Damm und an der gepflasterten Straße, schwere Schäden am Mühlwehr, ein Wasserriss durch die Wiese, der das Wehr trockensetzte und die Brücke direkt gefährdete, sowie bedeutende Uferabbrüche am neuen Flussbett unterhalb der Brücke, die das Flussbett stellenweise auf 100 Fuß (30 Meter) verbreiterten. Als das Januarhochwasser 1839 zu einer weiteren erheblichen Vertiefung des Flussbettes auf 13 Fuß (fast 4 Meter) unter der Brücke führte, warnte die Bauinspektion Nürnberg eindringlich, dass die von der Pegnitz mitgerissenen Sandmassen sogar die Mühlen und Werke in Nürnberg in Gefahr bringen könnten. Die Reparaturen blieben eine Daueraufgabe, und jede Reparatur löste auf politischer und administrativer Ebene neuen Streit um die Finanzierung der Kosten aus, der zeitweilig die Durchführung selbst dringlicher Maßnahmen lähmte.
Aber nicht nur für die beteiligten Ämter und Gemeinden waren die Folgen der Pegnitzregulierung eine Quelle stetigen Zanks, auch die Streitigkeiten zwischen privaten Anliegern der Pegnitz nahmen jetzt an Schärfe zu. Schon seit die Besitzer der Mögeldorfer Mühle Bryeisen und Falke 1825 ein Wehr mit aufziehbarer Schütze angelegt hatten, hatten sie einen jahrzehntelangen Rechtsstreit gegen die Besitzer der oberhalb anliegenden Wiesen und der Mühle zu Hammer zu führen. Während Bryeisen und Falke und später ihr Besitznachfolger, Maschinenpapierfabrikant Hahn, den Mühlbach aufstauen wollten, um den Wasserdruck auf ihr Mühlrad zur erhöhen, lehnten die Wiesenbesitzer oberhalb des Wehres und die Mühlenbesitzer zu Hammer dies vehement ab, da hierdurch ihre Wiesen versumpft und der Wasserdruck auf ihr Rad vermindert würden. Die Pegnitzregulierung verschärfte das Problem nur noch. Der „unglückliche Durchstich unterhalb des Wöhrs“ habe den Wasserstand sehr gesenkt und die Wasserkraft für seine Mühlräder sehr gemindert, argumentierte Hahn, so dass er das Wasser aufstauen müsse. Genau diese Stauung aber würde ihre Wiesen ruinieren, konterten seine Gegner, und ein Gutachten der Bauinspektion bestätigte, dass die Pegnitz ihren mitgebrachten Flusssand oberhalb des Wehrs ablagern, sich dadurch noch mehr aufstauen und schließlich alles überfluten würde. Aber durch die Begradigung sei die Wasserströmung so reißend geworden, widersprach Hahn, dass das Öffnen der Schützen gar nicht mehr möglich sei. Dabei scheinen die beteiligten Privatpersonen deutlicher gesehen – oder ausgesprochen? – zu haben als die Behörden, welche Rolle die Flussbegradigung spielte. „Wenn nun das koenigliche Landgericht nicht einsehen will, daß alle diese Mißstände durch die gewaltthaetig vorgenommene Flußkorrektion von Seiten der Flußpolizeybehoerde seit Jahren verschuldet worden sind, …“ schrieb Hahn verärgert eben diesem Landgericht, als dieses gegen ihn entschieden hatte, und legte Berufung ein. Der Streit sollte noch Jahrzehntelang weitergehen.
8. Folge: Streik in Mögeldorf, 1988

Am 20. Oktober 1888 sandte das Bayerische Gendarmerie-Corps Mittelfranken, Brigade Nürnberg, Station Mögeldorf einen Bericht an das Bezirksamt Nürnberg: Am gestrigen Vormittag sei in der Eisengießerei Paul Gebhard, Haus Nr. 176 (Ostendstraße 84) ein Streit wegen Lohndifferenzen ausgebrochen, da Gebhard künftig nur noch Akkordlohn zahlen wolle, während die Arbeiter auf Beibehaltung des bisherigen Tageslohns bestanden. Seit heute seien 17 Gießer im Ausstand, Arbeitswillige würden gewaltsam von der Arbeit abgehalten, und einzelne Arbeiter drohten sogar damit, das ganze Anwesen zu demolieren.
Unterstützt wurde der Streik von einem Schreiben des Former-Vereins „Glück auf“ (einer lokalen Gewerkschaft) an Gebhard: Von einem Kollegen habe man erfahren, dass Gebhard den Akkordlohn einführen wolle. Der Verein vertrete aber das Prinzip, dass der Akkordlohn in allen großen Gießereien abgeschafft werden solle, da er „den Herren Prinzipalen sowie der allgemeinen Industrie schadet und von großem Nachtheil ist.“ Deshalb seien die Kollegen beauftragt (!), bei Einführung des Akkordlohns zu streiken, allen Zuzug von Streikbrechern fernzuhalten und bei Auslagerung von Arbeitsaufträgen in andere Gießereien auch diese zu bestreiken. Als bekannt human denkender Mann werde Gebhard diese Forderungen als gerecht anerkennen und billigen; wenn nicht, müsse er sich seinen Schaden selbst zuschreiben.
Nach 5-6 Tagen gab Gebhard auf, blieb beim Tageslohn und versprach, die Streikenden nicht vor Ablauf von 6 Wochen zu entlassen. Damit endete der Streik. Aber schon am 17. November entließ der Gießmeister Karl Gatter sechs der zuvor Streikenden unter dem Vorwand, es gebe keine Aufträge. Die Begründung war einsichtig und die Arbeiter nahmen die Entlassungen hin, aber als er am 20. November statt der Entlassenen neue Arbeiter einstellen wollte, flog der Schwindel auf, und die empörten Former traten erneut in den Streik. Ihre Forderungen: Entlassung des unredlichen Gießmeisters und der beiden neu eingestellten Arbeiter. Gegenüber der Gendarmerie gab Gebhard zu, dass von einem Mangel an Aufträgen keine Rede sein könne, und betonte, dass er den Gießmeister zu seinem Handeln nicht ermächtigt habe, weigerte sich aber dennoch entschieden, auf die Forderungen der Streikenden einzugehen. Im Streik waren jetzt acht Former, während drei weiterarbeiteten. Gewalttätigkeiten kamen zunächst nicht vor, doch sollte sich das bald ändern.
Am 28. November saßen zwei am 21.11. und 26.11. neu eingestellte Streikbrecher aus anderen Nürnberger Vororten nach Feierabend in der Restauration „Tullnau“ beim Bierchen. Als einer von ihnen, Franz Schmitt (48 Jahre alt, wohnhaft an der Bärenschanze), ausgetrunken hatte und die Kneipe verließ, folgten ihm drei Streikende, warfen ihn, ohne ein Wort zu reden, von hinten zu Boden und schlugen mit Fäusten und Stöcken auf ihn ein. Kurz darauf war die Reihe am Zweiten, Georg Kühn (55 Jahre, aus Bleiweiß). Ihn fragten die drei Streikenden zunächst, ob er sich der Lohnbewegung anschließen wolle; auf seine Verneinung hin traktierten sie ihn wie ihr erstes Opfer. Seitdem, so schloss der Gendarm seinen Bericht, herrsche in Tullnau die Angst, dass es auch einen völlig Unbeteiligten treffen könne, „weshalb es angezeigt erscheinen dürfte, Verfügung dahin zu treffen, diese streunenden Streiker von den Straßen und ihren Posten zu entfernen.“
Zwei Tage später wandte sich Gebhard hilfesuchend an das Bezirksamt. Er zeigte sich „fest entschlossen“, keinen der streikenden Arbeiter mehr einzustellen oder ihre „frivolen Forderungen“ zu erfüllen. An allen Straßen, die zu seinem Werk führten, stünden Streikposten, um Arbeitswillige mit Drohungen und Versprechungen abzuhalten. Ein besonderer Dorn im Auge waren ihm die Streikposten, die an der Brücke der Tullnau-Mögeldorfer Straße über die Bahnlinie Stellung bezogen hatten. Von frühmorgens bis spätabends nach 6 hielten sie im Schichtdienst Wacht, meist mehrere Personen, nicht nur Streikende aus seiner Fabrik, sondern auch fremde Unterstützer. Gebhard selbst, sein Buchhalter und andere Arbeiter könnten nur gemeinsam in einer großen Gruppe von der Arbeit zur Stadtgrenze zurückkehren; außerdem habe er trotz der aufgestellten Nachtwachen Angst um sein einsam gelegenes Anwesen. Schließlich beschwerte sich Gebhard über die Auszahlung von Streikgeldern durch den Former-Verein und bat das Bezirksamt, die von ihm namentlich genannten, von auswärts stammenden Streikführer wenn möglich aus Nürnberg auszuweisen.
In einem Bericht vom 16. Dezember an das Bezirksamt gab die Gendarmeriestation Mögeldorf Hintergrundinformationen, die uns heute allerdings recht wenig objektiv erscheinen. Gebhard betreibe die Gießerei erst seit einem Jahr und sei selbst kein Fachmann, sondern Kaufmann. Durch seinen späten Markteintritt „bekam (er) schon bei Beginn der Gießerei die anderweitig ausgeworfenen, frech sozialistischen Elemente, welche überhaupt nicht gerne arbeiteten, um so lieber sich aber von anderen Kameraden ernähren ließen durch das Streiken“ (eine Anspielung auf die Auszahlung von Streikgeld durch den Former-Verein an die Streikenden und Streikposten). Das Geld hierfür hätte der Former-Verein durch Sammlungen auf seinen Versammlungen im „Wilden Mann“ in Wöhrd und in verschiedenen Nürnberger Fabriken aufgebracht. Die Posten und Patrouillen seien darüber hinaus gefördert worden durch das gute Wetter, „da sich die Faulenzer leicht im Freien bewegen konnten. Erst die in den letzten Wochen eingetretene Kälte vertrieb die Streiker, so daß der Streik äußerlich beendet zu sein scheint.“ Insgesamt habe die Fabrik 28 Arbeiter, davon 15 Former, und nur diese hätten gestreikt – in einem früheren Bericht hieß es genauer: acht von ihnen.
Interessante Einblicke gibt ein Berichtsformular, das Bürgermeister Stiegler nach Streikende für das Bezirksamt auszufüllen hatte. Er spricht von 30 Arbeitern, darunter 11 Former. Als Lohn für die (außer für Jugendliche) 10-stündige Arbeitszeit würde seit dem Streik bezahlt: für Formertagelöhner 3,50 und 3,- Mark, für andere Tagelöhner 2,70-2,30 Mark, für Jungen wöchentlich 2,00-6,00 Mark, für Gussputzer 2 ½ und 3,30 Mark und für sonstige Arbeiter durchschnittlich 2,50 Mark. Der Streik habe seine Ziele nicht erreicht.
Die Eisengießerei Paul Gebhard ging ein Jahr später in Konkurs. Der Betrieb wurde unter neuer Leitung weitergeführt und wurde zur Keimzelle des Gießerei- und Anlagenbaubetriebs Gebr. Decker, der viel zum Aufschwung Mögeldorfs beitragen sollte, aber 1982 Nürnberg verließ.
9. Folge: Jüdisches Familienband an der Pegnitz, 1935

Direktion Nürnberg-Fürth ein: Die Gemeinde beabsichtige, „an der Pegnitz in der Nähe von Mögeldorf“ ein jüdisches Familienbad einzurichten. Könne die Gemeinde grundsätzlich mit einer Genehmigung eines solchen Vorhabens rechnen?
Der auf den ersten Blick alltägliche Antrag hatte einen brisanten Hintergrund. Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 waren die Juden schrittweise immer mehr aus dem beruflichen und gesellschaftlichen Leben verdrängt worden, und schon seit August 1933 hatte ihnen die Stadt Nürnberg auch den Zutritt zu den städtischen Schwimmbädern verwehrt. Es bestand also dringender Bedarf nach einem eigenen Bad; eine wohlwollende Aufnahme des Gesuchs war aber fraglich.
Zunächst schien es gut zu laufen. Nach mehreren Unterredungen zwischen Polizeidirektion und Kultusgemeinde, die offenbar positiv verliefen, folgte am 23. April der offizielle Bauantrag. Als Standort des Familienbades vorgesehen war ein Grundstück an einem Nebenarm der Pegnitz (also am Mühlgraben) abseits von jedem Verkehr, das im Eigentum der Mögeldorfer Branntweinbrennerei Metzger & Böhm stand; die Eigentümer der Firma waren selbst Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde.
Die Polizeidirektion sah keine grundsätzlichen Bedenken, konnte oder wollte aber, obwohl zuständige staatliche Stelle für eine solche Genehmigung, die Frage nicht ohne Rückversicherung bei der Partei entscheiden und nahm Rücksprache mit der Gauleitung Franken der NSDAP. Auch von dieser Seite erfolgte „keine Erinnerung“, der Antrag konnte also grundsätzlich genehmigt werden. Einen herben Rückschlag für das Projekt brachte dagegen eine Ortsbesichtigung am 9. Mai. Der vorgesehene Standort erschien der Polizeidirektion nunmehr als „offensichtlich ungeeignet“ mit der Begründung, „weil die Anlage eines Freibades an dieser Stelle das landschaftliche Bild äußerst ungünstig beeinflusst hätte“. Als Kriterien für eine Genehmigung führte die Polizeidirektion in einem Schreiben an die Stadtverwaltung aus: „Der Platz soll möglichst versteckt, nicht an Hauptverkehrswegen, nach Möglichkeit nicht am Hauptarm der Pegnitz und so gelegen sein, daß jede Einsicht in das Bad unmöglich ist.“
Wenige Tage später legte die Kultusgemeinde einen neuen Vorschlag vor: das benachbarte Grundstück Speckhart, ebenfalls am Mühlgraben etwas unterhalb gelegen, auf dem auch ein kleiner Weiher lag. Allerdings mündeten direkt oberhalb dieses Grundstücks zwei Abwasserkanäle in den Mühlgraben. Wieder folgte eine Ortsbesichtigung, und diesmal hatte sie ein positiveres Ergebnis: Zwar sei die Nutzung des Pegnitzarms als Freibad wegen der Abwasserkanäle aus hygienischen Gründen unmöglich, der aus einer eigenen Quelle gespeiste Weiher aber könne genutzt werden. Der Kultusgemeinde wurde ein positiver Bescheid in Aussicht gestellt, es fehlte nur noch eine Formalie: der bei Grundstücksgeschäften nötige Nachweis der Verfügungsberechtigung über das Grundstück.
Damit schienen die politischen und bürokratischen Hürden genommen – aber vier Tage später ging ein von Josef Koller, Kommissär der Schutzpolizei, verfasstes Schreiben bei der Polizeidirektion ein: Er habe von der Geschäftsleitung der NSDAP, Ortsgruppe Mögeldorf, von dem geplanten Bad Kenntnis bekommen und lehne dieses „vom sicherheitspolitischen, verkehrspolizeilichen, sowie vom sittlichen Standpunkt aus“ entschieden ab. Zur Begründung folgte eine lange Liste von Beschwerdepunkten.
Das geplante Bad liege in direkter Nachbarschaft zum vielbegangenen Johann-Soergel Weg sowie zur Gaststätte „Zur schönen Aussicht“, stehe also von beiden Seiten der Einsicht offen. Zudem liege in nur 80 Metern Entfernung die Geschäftsstelle der Ortsgruppe Mögeldorf der NSDAP (Ecke Mögeldorfer Hauptstraße / Johann-Soergel-Weg), und die Leitung würde nicht immer in der Lage sein, „unvermeidbare Zwischenfälle“ von Seiten ihrer Mitglieder zu verhindern. Auch die Gaststätte Guthmann, das Parteilokal von SA, SS und Angehörigen der NSDAP, sei nur 3 Minuten entfernt. Dann machte Koller sich zur Stimme des Volkes der ganzen Stadt: „Es wurden Stimmen laut, wonach die arische Bevölkerung nicht einsehen will, dass die jüdische Bevölkerung ihr Familienbad am Einfluss der Pegnitz zur Stadt errichten will. Es wird von der arischen Bevölkerung abgelehnt, sich in einem Wasser zu baden, in dem sich zuerst die Juden abgewaschen haben.“ Schließlich das Parkplatzproblem: Die Badegäste würden mit ihren Autos kommen und zwangsläufig auch vor der Geschäftsstelle der NSDAP und dem Parteilokal Guthmann parken. „Durch diese Lage könnten auftretende Beschädigungen an Kraftfahrzeugen oder sonstige Zwischenfälle mit den Fahrern immer wieder eintreten“, ohne dass sie sich rechtzeitig würden verhindern lassen; eine Überwachung durch die SchuPo (Schutzpolizei) sei wegen des geringen Beamtenstandes nicht möglich.
Soweit die Einwände Kollers. Manche seiner Warnungen können durchaus auch als Drohungen gelesen werden.
Am 27. Mai ging dieser Brief bei der III. Abteilung der Polizeidirektion ein – und sofort schwenkte die Polizeidirektion um. „Den von der Schutzpol. Abteilung XIX gegen die Errichtung des jüdischen Familienbades geltend gemachten Gründen schließe ich mich an“, so der knappe, kommentarlose Randvermerk des zuständigen Leiters der Abteilung III. Eine erneute Stellungnahme der Gauleitung liegt im Akt nicht vor.
Der plötzliche Sinneswandel überrascht, und noch mehr die Richtung der Willensbildung: von unten nach oben, und das in einer totalitären Diktatur wie dem Dritten Reich! So einig Polizeidirektion und Gauleitung in der Genehmigung des Antrags waren, es genügte ein Brief eines Polizeikommissärs, um die Entscheidung umzustoßen. Hatte Koller sie mit neuen Gesichtspunkten überzeugt, oder hatten sie einfach Angst, von ihrem eifrigen Untergebenen selbst als zu lau denunziert zu werden? Das lässt sich nicht mehr feststellen.
Anscheinend hatte auch die Israelitische Kultusgemeinde inzwischen einen unmissverständlichen Hinweis erhalten, denn noch am gleichen Tag lief ein Schreiben der Kultusgemeinde bei der Polizeidirektion ein: Man danke für die Bereitwilligkeit zur Genehmigung des Antrags, doch habe er sich leider als undurchführbar erwiesen, da der Flussarm aus hygienischen Gründen nicht nutzbar und der Weiher zu klein sei. Der Antrag werde daher zurückgezogen.
Der Traum vom eigenen Freibad war ausgeträumt. Noch ahnten erst die wenigsten, dass die bisherigen Schikanen nur das Vorspiel für viel schrecklichere Verfolgungen waren.
10. Folge: Überfall auf Mögeldorf, 1634

1634: Seit 16 Jahren wütet der Dreißigjährige Krieg, entstanden als Religionskonflikt zwischen Protestanten und Katholiken im Reiche, wenn auch politische Interessen von Anfang an die konfessionellen Fronten durchkreuzten. Für die Reichsstadt Nürnberg, die ihrem evangelischen Glauben wie auch dem katholischen Kaiser treu bleiben wollte, eine schwierige Zeit! Um zu überleben, gab es nur einen Weg: Neutralität, soweit möglich, und Anpassung an den gerade Stärkeren. Und das waren Anfang 1634 die Schweden, mit denen Nürnberg seit 1631 halb freiwillig, halb gezwungen verbündet war. Das Problem: In unmittelbarer Nähe Nürnbergs, in den Festungen Forchheim und Rothenberg, hatten sich kaiserliche und bayerische Besatzungen gehalten, die zwar der Stadt nichts anhaben konnten, im Landgebiet aber mit Raub- und Zerstörungszügen Furcht und Schrecken verbreiteten. Einen ihrer Überfälle schildert Pfarrer Matthäus Stephani (amtierte 1625-1648), der seit 1631 die Kriegsleiden Mögeldorfs in einer langen Liste der Überfälle, Einquartierungen und Plünderungen dokumentierte.
„(1634) ♄ vor dem ʘ nach dem N. Jahrtag ist der Feind von Vorchheim auß 1 Stund vor Mitternacht ins Dorf gefallen, aber von 16 Schott. Soldaten, welche selbigen Tags bei uns quatier machen wollen, ritterl. wider hinauß geschlagen, mit verlust in 15 Mann, deren 4 gefangen, die andern ins Wasser gespr. u. umkomen. Doch sind von denen Schotten 2 geblieben, u. 3 gequetscht, deßgleichen ist von unserer DorfsW der Feldwaibel u. noch einer nieder gemacht worden, der Schildwächter aber durch Bein geschoßen, über solcher gefahr und darauß erfolgten Confusion willen ist an bemelden ʘ so wohl als am Fest S 3 regum nicht geprediget worden.“
Für einen heutigen Leser nicht leicht zu verstehen! Zur Erklärung: ♄ und ʘ sind die astrologischen Zeichen für Saturn und Sol (Sonne), die Planetengötter des Samstag und Sonntag, die unser frommer Pfarrer, wie damals üblich, ganz unbefangen für die Tage selbst einsetzt. Der Sonntag nach dem Neujahrstag war 1634 der 5. Januar, der Überfall fand also am 4. Januar statt. Das „Fest S 3 regum“ ist das Fest der heiligen drei Könige, also der 6. Januar.
Als 1833 Pfarrer Daniel Merz dem Konsistorium eine Beschreibung seiner Pfarrei Mögeldorf einreichte, nahm er Stephanis Bericht in den historischen Teil auf. Offenbar schien ihm der alte Text nicht verständlich genug, und so erstellte er keine wortgetreue Abschrift, sondern eine völlig neu formulierte Übertragung in modernes Deutsch:
„1634 Sonnabends vor dem Sonntag nach dem neuen Jahre sind die Kaiserlichen eine Stunde vor Mitternacht ins Dorf gefallen von Forchheim herkommend; haben den Feldwebel von der hiesigen Dorfswache und einen andern Soldaten niedergemacht, den Schildwächter durchs Bein geschossen und andere verwundet. Es waren nur 16 schottische Soldaten hier, welche Quartier gemacht hatten, die Kaiserlichen aber waren an 60-80 Mann Dragoner und Reiter, demohngeachtet wurden bei 15 Mann derselben gefangen, andre ins Wasser gesprengt und mit großer Tapferkeit unverrichteter Sache wieder aus dem Dorfe zurückgetrieben.“
Leicht verständlich, aber welche Unterschiede gegenüber der Vorlage! Aus den 4 gefangenen und 11 ertrunkenen Feinden werden 15 Gefangene und „andere“ ins Wasser Getriebene; die Verluste der Schotten fallen unter den Tisch. Und woher hat Merz die „60-80 Mann Dragoner und Reiter“, von denen bei Stephani kein Wort steht? Standen ihm noch andere Quellen zur Verfügung? Vermutlich ja, aber welche? Die Tendenz aber ist ein-deutig: ein Heldenlied auf die tapferen schottischen Verbündeten und Glaubensbrüder!
Natürlich hat auch Leo Beyer, der große Lokal-historiker Mögeldorfs, den spektakulären Überfall in seine Heimatgeschichte aufgenommen, auch wenn er die lange Liste Stephanis nur in knappster Auswahl und stark gekürzt übernimmt. Bei ihm liest sich das Ereignis so:
„1634 Sonntag nach Neujahr sind kaiserliche Dragoner, 60-80 Mann stark, von Bamberg herkommend, ins Dorf eingefallen und haben den Feldwebel der Dorfwache mit anderen Soldaten niedergemacht, wurden aber von 16 zum Quartiermachen hier gewesenen schottischen Soldaten zum Teil gefangen, zum Teil ins Wasser gesprengt und zurückgeschlagen.“
Als gründlicher Historiker kennt Beyer offensichtlich beide Fassungen, vermeidet aber jeden Hinweis auf ihre Widersprüche wie auch jede Festlegung auf eine von ihnen, indem er alle strittigen Zahlenangaben einfach weglässt. Seine Zeitangabe „Sonntag“ ist offensichtlich ein Versehen. Die Ortsangabe „Bamberg“ statt „Forchheim“ lässt sich damit erklären, dass Forchheim die Landesfestung des Fürstbistums Bamberg war; beide Angaben widersprechen sich also nicht.
Auch in Chroniken Nürnberger Bürger jener Zeit fand das Ereignis Eingang, so in die Chronik des Hans Hieronymus von Murr. Natürlich hat der Bürger im sicheren Nürnberg eine andere Perspektive als der unmittelbar betroffene Pfarrer in Mögeldorf:
„Den 4 Jenner in der Nacht sind die Forchheimer zu 40 stark zu Roß in Mögeldorf eingefallen, haben einen Corporal samt noch zweyen der Unserigen erschossen; hingegen sind 3 von ihnen gefangen herein gebracht worden. Haben zuvor an die Schanz bey den sieben Creuzen angesetzt, wurden aber von den Unsrigen unverrichter Sachen abgetrieben.“
Angesichts des Ausgangs des Kampfes erscheinen 40 Feinde realistischer als „60-80 Mann“, bei denen wohl Schreck und Dunkelheit die Väter der Schätzung waren. Wieder weichen die meisten Zahlenangaben voneinander ab. Besonders interessant sind das völlige Schweigen über die Schotten und die Mitteilung, dass die Forchheimer bereits zuvor einen Angriff auf das unmittelbare Vorfeld Nürnbergs unternommen hatten, aber an den Außenschanzen zurückgeschlagen worden waren und erst dann versuchten, sich in den Dörfern des Landgebiets schadlos zu halten.
Die Murr’sche Chronik gibt noch aus einem anderen Grund zu denken. Nach ihren Angaben lag gerade in diesen Tagen für vier Wochen in und bei Wendelstein das Regiment Lesle in Quartier, 300 schottische Söldner im Dienst Wallensteins, denen der Rat gezwungenermaßen Bier, Brot und anderes reichen ließ, um sie von Plünderungen und Gewalttaten im Landgebiet abzuhalten – wie üblich mit nur mäßigem Erfolg. War das Gefecht in Mögeldorf ein Kampf zwischen zwei kaiserlichen Truppenteilen, etwa weil sie sich nicht erkannt hatten oder als Konkurrenten bei der Plünderung sahen, oder standen die „Mögeldorfer“ Schotten in schwedischen Diensten? Die Quellen geben keinen Hinweis darauf, doch deutet das friedliche Miteinander von Nürnberger Dorfwache und schottischer Einquartierung auf die zweite Erklärung hin.
11. Folge: Mist und Gerechtigkeit – der Streit um die Mögeldorfer Gemeindeordnung 1594/95

Am 28. März 1595 erschienen Georg Kist und Hanns Simon, Vierer (gewählte Vertreter der Dorfgemeinde) zu Mögeldorf, im Landpflegamt und gaben für sich und ihre beiden Mitvierer zu Protokoll:
Vor zwei Jahren hatten die Mögeldorfer Vierer um eine neue Gemeindeordnung suppliziert (gebeten), die der Rat daraufhin ausgearbeitet und allen in Mögeldorf begüterten Eigenherren vorgelesen habe. Als diese einverstanden waren, sei sie mit dem Ratssiegel und den Siegeln von Carl Tetzel und Wolf Löffelholz, den Eigenherren mit den meisten Untertanen in Mögeldorf, für sich selbst und ihre Miteigenherren besiegelt und schließlich der Dorfgemeinde publiziert worden. Diese Gemeindeordnung enthalte auch einen Punkt, der den Verkauf von Mist außerhalb der Gemeinde bei Strafe von 63 d (Denar = Pfennig) verbiete. Nun habe aber der Korbmacher und Caspar Tuchersche Untertan Georg Prechtel sechs Fuder Mist nach Weigelshof verkauft und weigere sich auf Befehl Tuchers, die ihm auferlegte Strafe zu zahlen. Die Vierer baten daher das Landpflegamt, es möge auf die Einhaltung der Ordnung dringen, sonst würde sich niemand mehr daran halten.
Merkwürdigerweise datiert das folgende Schriftstück, die Stellungnahme Caspar
Tuchers zu diesen Vorwürfen, erst vom 28. Juli 1596, länger als ein Jahr später. Gab es zwischenzeitlich mündliche Verhandlungen, hatte das Landpflegamt die Bearbeitung verschlampt oder gar absichtlich verzögert, oder hatte Tucher versucht, die ganze Affäre einfach auszusitzen? Jedenfalls ist seine Stellungnahme eine Generalabrechnung mit der Gemeindeordnung, ihrem Zweck, der Art ihres Zustandekommens und der dubiosen Rolle der Vierer und des Landpflegamts dabei.
Schon die Art der Entstehung der Gemeindeordnung hält Tucher für einen Skandal. Richtig wäre es gewesen, wenn zunächst die Untertanen sich auf einer allgemeinen Gemeindeversammlung untereinander auf den Text einer Ordnung geeinigt hätten, dann auf dieser Grundlage die Eigenherren unter-einander und schließlich das Landpflegamt diese Ordnung in Kraft gesetzt hätte. Hier aber sei es anders gewesen: Nur die reichsten Bauern und Grundbesitzer, die Vierer und die „furnemsbsten auß der gemain“, hätten mit Hilfe und Rat ihrer Eigenherren und des Schreibers in der Landpflegstube eine Gemeindeordnung „nach Irem vortheil und zu Unterdruckung der Armen“ beschlossen, bei deren Verkündung Tuchers Untertanen, aber auch andere gerade wegen des Verbots des freien Mistverkaufs heftig widersprochen hätten. Aber auch Tucher selbst sei völlig übergangen worden, denn das zwingend erforderliche Umlaufverfahren unter allen Eigenherren sei nicht eingehalten worden, und er habe die neue Ordnung daher gar nicht zu Gesicht bekommen. Wenn die Landpflegschreiber in der Einleitung der Ordnung geschrieben hatten, sie sei mit Zustimmung aller Eigenherren erlassen worden, so sei das eine bewusste Lüge. Schließlich sei die Besiegelung einer Dorfordnung durch den Nürnberger Rat unrechtmäßig; normalerweise siegelte das Landpflegamt. Wer hatte diese Siegelung betrieben, der Landpflegschreiber oder Carl Tetzel und Wolf Löffelholz? Was Tucher nicht sagt, aber mit dieser Frage durchblicken lässt: Offensichtlich befürchteten einige der Beteiligten Widerstand gegen ihr Vorgehen und wollten sich mit dem Ratssiegel absichern.
Als Zweck all dieser Machenschaften vermutet Tucher die Absicht, „damit die reichen und vermuglichen Paurn, die viel Velder haben, auch die Burger, so ire Velder selbst pauen, den Mist von den armen Köblern nach irem Gefallen und nemlich ein Fuder mit zweyen Pferdten umb 36 d und eins mit dreyen Pferdten umb 48 d erjagen, da Sy doch hergegen fur das erste mal ¼ fl und das ander 1/3 fl und mehr haben mogen, darzu sie sich in kheinem weg verbinden oder einlassen, noch ein solche Dienstbarkeit auf sich laden khunden und wollen.“
Ein heutiger Leser mag Schwierigkeiten haben, den Kern des Problems zu verstehen. In einer Zeit ohne Kunstdünger war Mist das wichtigste Mittel, die Ertragskraft der Felder zu erhalten und zu steigern, und er war immer knapp. Die reichen Bauern und Grundbesitzer hatten also allen Grund zu versuchen, den von Mögeldorfer Vieh produzierten Mist in der Gemeinde zu halten und seinen Preis möglichst zu drücken. Umgekehrt hatten die Köbler, die Besitzer kleiner Gütchen ohne nennenswerten Grundbesitz, aber mit ein oder zwei Stück Vieh, ein dringendes Interesse daran, dessen Mist zu Marktpreisen frei zu verkaufen, brachte dies ihnen doch einen wichtigen Zusatzverdienst zu ihrem sonst eher kärglichen Einkommen.
Die Bestimmungen der Gemeindeordnung zeigen, wer sich politisch durchsetzen konnte: Verbot des Verkaufs von Mist außerhalb der Gemeinde, außer wenn kein Mögeldorfer Feldbesitzer ihn haben wollte; ein Zwangspreis von 36 oder 48 Pfennig gegenüber einem Marktpreis von ¼ oder 1/3 Gulden (damals 63 oder 84 Pfennig) – die reichen Bauern und Grundherren hatten sich gegen die armen Köbler durchgesetzt. Eigentlich hätte das Landpflegamt die Ärmeren schützen müssen, wie Tucher zornig feststellt.
Warum sich Caspar Tucher so leidenschaftlich für die Sache der armen Köbler einsetzte, lässt sich dem Akt nicht entnehmen. Nahm er seine eigenherrlichen Schutzpflichten gegenüber seinem Untertan so ernst, hatte er darüber hinaus allgemein eine soziale Ader, oder spielte auch sein Eigeninteresse eine Rolle? Schließlich hingen die Eigenzinszahlungen seiner armen Untertanen nicht zuletzt von deren wirtschaftlicher Zahlungsfähigkeit ab. Was seine Standesgenossen im Rat angeht, so scheint Tucher in ihr soziales Gewissen weniger Vertrauen gehabt zu haben als in ihr Eigeninteresse. Als ein weiteres Argument für die (immerhin illegale) Handlungsweise seines Untertanen nennt er den Grund: Er brauchte das Geld, um seine Steuern bezahlen zu können.
Wie so oft ist der Ausgang des Streites nicht mehr im Akt dokumentiert. Auffällig ist allerdings: Als das Landpflegamt dreißig Jahre später, am 13. Dezember 1625, auf Bitten der Vierer und auf Grundlage der von ihnen formulierten Vorschläge eine neue Gemeindeordnung für Mögeldorf erließ (die es diesmal auch selbst besiegelte), wurden im Punkt über den Mistverkauf die bisherigen Höchstpreise ausdrücklich abgeschafft. Offensichtlich ein Kompromiss: Zwar behielten die großen Bauern und Grundbesitzer Mögeldorfs ihr Vorkaufsrecht, doch entfiel die Deckelung des Verkaufspreises, so dass die Köbler jetzt auch in Mögeldorf die Chance auf einen marktgerechteren, höheren Erlös hatten. Tuchers Einsatz für seinen armen Untertanen hatte sich doch noch gelohnt.
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